Gebührenerhebung für “Verlassensgestattung” ist rechtswidrig!

Halle/ Saale, 26.02.2010.
Gerichtsverhandlung gegen Residenzpflicht:
Komi E. gewinnt Klage gegen 10 Euro Gebühren.

Komi E., Vizepräsident der Initiative Togo Action Plus, klagte 2007 beim Verwaltungsgericht Halle/Saale gegen die Erhebung einer Gebühr von 10 Euro. Die Ausländerbehörde im Landkreis Saalekreis verlangt diese Gebühr von Flüchtlingen, die den Landkreis verlassen wollen. Die ohnehin rassistische Ausgrenzung von Flüchtlingen in Deutschland durch die Residenzpflicht wird durch diese Gebühr verschärft.

Heute verkündete das Verwaltungsgericht Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) das Urteil. Der Richter Harms erklärte, dass es für die Erhebung einer solchen Gebühr von Flüchtlingen keine gesetzliche Grundlage gibt. Die Ausländerbehörde, die der Verhandlung fernblieb, muss Komi E. den Streitbetrag von 10 Euro zurückerstatten. “Dies ist ein Präzedenzfall im Kampf gegen strukturellen Rassismus. Wir hoffen, dass die Ausländerbehörde in Merseburg in Zukunft keine Gebühren mehr von den Flüchtlingen verlangt“, sagte Anett Zeidler von der Initiative Togo Action Plus.

BEWEGUNGSFREIHEIT IST MENSCHENRECHT!

Presseerklärung der Internationalen Liga für Menschenrechte (Website)dazu: Verwaltungsgericht Halle/Saale gibt Kläger Komi E. Recht

 Gebührenerhebung für Verlassungsanträge durch Landkreis Saalkreis entbehrt jeder Rechtsgrundlage!

 Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragen, finden sich fast zwangsläufig in einem Status wieder, der offiziell als „unsicher“ oder „geduldet“ bezeichnet wird. Solange ihr Asylantrag in Bearbeitung ist, gilt der Status der Asylsuchenden als „unsicher“. Ist der Antrag abgelehnt aber eine Abschiebung aufgrund der Situation im Herkunftsland nicht möglich, gilt der Status „vorübergehend geduldet“ und deshalb „unsicher“. Flüchtlingen mit „unsicherem“ Aufenthaltsstatus werden bundesweit auf Massenunterkünften verteilt, die alle Aspekte von Lagern aufweisen. Die bundesweite Verteilung der Flüchtlinge auf Lager in einzelnen Landkreise ist durch das weltweit einmalige Gesetz der so genannten Residenzpflicht geregelt. Asylbewerbern ist es untersagt, die territoriale Parzelle zu verlassen, auf der sie gemäß einer Quotenreglung festgesetzt werden, damit die dort zuständige Ausländerbehörde sie „verwalten“, d. h. auf Schritt und Tritt überwachen und kontrollieren kann.

Zur inhumanen Verwaltung  gehören so genannte (!) Verlassensanträge.

 Im Landkreis Saalkreis (Sachsen Anhalt) hat sich die Ausländerbehörde die Praxis zu eigen gemacht, pro Verlassensantrag „aus privaten Gründen“ eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 10,– € zu erheben. Angesichts der Tatsache, dass Flüchtlinge mit „unsicherem“ Aufenthaltsstatus finanziell auf ein minimales Taschengeld werden, der Schikanengipfel der insgesamt inhumanen Flüchtlingspolitik in Deutschland.

Gegen diese Praxis klagte Komi E. beim Verwaltungsgericht Halle/Saale.

 Mit Erfolg!

 Rechtsanwalt Volker Gerloff: „Am heutigen Freitag, 26. Februaer 2010 stellte das Gericht fest,  dass es keine Rechtsgrundlage für die Erhebung einer Gebühr für Verlassensanträge gibt. Insofern wurden alle von Flüchtlingen bereits bezahlten Gebühren vom Landkreis rechtswidrig erhoben! Dies ist das erste Urteil, dass die grundsätzliche Unvereinbarkeit der Gebührenpraxis des Landkreis Saalkreis mit geltendem Recht feststellt.“

 Die Liga ruft alle Asylsuchende auf, Anträge auf Rückerstattung aller Gebühren zu stellen, die der Behörde für die Beantragung einer Erlaubnis die als „Residenz“ bezeichnete Aufsichtsparzelle zu verlassen, entrichtet wurden.

 Überdies fordert die Liga die Abschaffung der Residenzpflicht insgesamt!

Das Gesetz, das sie regelt, verstößt gegen elementare Menschenrechte und Bürgerfreiheiten, die jedem Menschen im internationalen Rechtsystem verbrieft und durch das Grundgesetz garantiert sind.

 Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin (President)
International League for Human Rights – FIDH/AEDH Germany
Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR)
Haus der Demokratie und der Menschenrechte
Greifswalder Str. 4

Gebühren für Flüchtlinge auf dem Prüfstand

 

Bericht von der Zeitung Neues Deutschland
Von Peter Nowak 24.02.2010 / Außer Parlamentarisches
Gebühren für Flüchtlinge auf Prüfstand
Stadt Halle will zehn Euro für Reiseantrag

Am 26. März e ntscheidet das Verwaltungsgericht Halle über die Frage, ob Flüchtlinge in Deutschland eine Gebühr zahlen müssen, wenn sie einen Antrag auf Verlassen ihres Landkreises stellen.
Wenn Komi E. seine Freundin in Berlin besuchen will, muss er zahlreiche bürokratische Hürden überwinden. Er lebt als Flüchtling in Halle und ist der Residenzpflicht unterworfen. Wenn er den Landkreis verlassen will, muss er bei der zuständigen Ausländerbehörde einen Antrag auf Genehmigung stellen. Die verlangt dafür eine Gebühr von 10 Euro und stützt sich auf die Aufenthaltsverordnung, in der es heißt, »für sonstige Bescheinigungen auf Antrag« kann eine Gebühr von 10 Euro erhoben werden. Allerdings sieht dieselbe Aufenthaltsverordnung eine Befreiung von Gebühren für Flüchtlinge vor, die Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen.

 In Halle ist die Gebührenpflicht standardmäßig im Antragsformular festgelegt, unabhängig davon, ob der Flüchtling sozial bedürftig ist oder nicht. E. sieht in dieser Gebühr eine weitere Hürde bei der Durchsetzung der Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge in Deutschland. Schließlich seien 10 Euro für jeden Antrag gerade für Flüchtlinge oft kaum finanzierbar. Schließlich müssen sie mit den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auskommen. Das sind in der Regel 185 Euro im Monat, die meist in Sachleistungen und Gutscheinen verrechnet werden sowie ein monatliches Taschengeld von 40 Euro in bar.

Gegen die Residenzpflicht
E. will mit dem Prozess aber das System der Residenzpflicht insgesamt anklagen, das in Deutschland die Bewegungsfreiheit von Menschen gravierend eingeschränkt. Diese Einschätzung teilt die Sozialwissenschaftlerin Beate Selders. Selbst wenn die Ausländerbehörden die Genehmigung der Reise liberal handhabt, seien die Flüchtlinge von Einschränkungen betroffen. Da die Behörden in der Regel nur zweimal in der Woche geöffnet haben, sind kurzfristige Reisen unmöglich. Außerdem sind die Ämter häufig bis zu 100 Kilometer von Sammelunterkünften für Flüchtlinge entfernt, die für den Antrag nicht nur viel Zeit benötigen, sondern auch für die Fahrtkosten aufkommen müssen. Die Gebühr stellt dann noch eine zusätzliche finanzielle Belastung dar.

Die Initiative Togo Action Plus, deren Vizepräsident der Kläger ist, sieht als Folge der Residenzpflicht auch eine massive Einschränkung von Selbstorganisationsprozessen von Flüchtlingen. »Die Teilnahme an Vorbereitungstreffen, Diskussionsforen, kulturellen Aktivitäten, das Treffen von Freunden und Freundinnen oder der Besuch von Mitaktivisten im Abschiebegefängnis wird kontrolliert.«

Obwohl durch das Verfahren in Halle die Residenzpflicht nicht abgeschafft wird, sehen Flüchtlingsorganisationen und antirassistische Initiativen in einem Erfolg der Klage eine Ermutigung ihrer Arbeit. Deswegen wird auch bundesweit zur Prozessbeobachtung nach Halle mobilisiert. Für Komi E. wäre ein Erfolg ein Etappensieg. Er ist mittlerweile von der Ausländerbehörde im Saalekreis aufgefordert worden, 1165,01 Euro für Aufwendungen zu zahlen, die die Behörde für die Vorbereitung seiner Abschiebung aufgewendet hat. Auch gegen diesen Bescheid, in denen Antirassisten eine Rache an einen Flüchtlingsaktivisten sehen, hat E. Klage eingereicht.

Der Prozess beginnt um 10 Uhr, Verwaltungsgericht Halle, Sitzungssaal 1063, Thüringer Str. 16.